Früher oder später betritt sie fast jeder einmal, ob als Tourist oder als Bürger der Stadt: die Basilika St. Lambertus, die älteste Kirche in der Altstadt und eines der bekanntesten Düsseldorfer Wahrzeichen. Markant ist sie vor allem auch wegen des verdrehten „schiefen“ Turms, der zurückgeht auf einen Brand im Jahr 1815, als man bei der Wiederstellung für die Balken möglicherweise frisches Holz verwendete, das sich dann verzog. Der Kirchenhistoriker Ulrich Brzosa wartet freilich mit einer anderen Theorie auf: Beim Wiederaufbau habe man die einfachen Dachschindeln mit Blei verstärkt, was das Gewicht so erhöhte, dass sich das Dach nach Westen neigte und verdrehte.
Der heldenhafte Retter der Kirche jedenfalls, der unter Einsatz seines Lebens in den brennenden Turm stieg, war der Schlossermeister Josef Wimmer, dem man mit einer Tafel am Turm gedenkt, aber übrigens auch mit einer Grabtafel auf dem Alten Bilker Friedhof (Sternwartpark) an der Volmerswertherstraße zusammen mit anderen bekannten und weniger bekannten Persönlichkeiten wie dem Heiligenmaler Ernst Deger oder Percy Freiligrath, dem Sohn des berühmten Revolutionsdichters der Jahre 1848/49.
Wie aber entstand der so prächtige und stolze gotische Bau? Da muss man ein wenig in der Geschichte blättern und 732 Jahre zurückgehen, also bis zu jener denkwürdigen Schlacht bei Worringen – heute ein nördlicher Stadtteil von Köln – im Jahre 1288. Adolf V, der Graf von Berg mit seinem Stammsitz Schloss Burg in Solingen, hatte in einer der gewaltigsten und blutigsten Schlachten des Mittelalters zusammen mit seinen Verbündeten am 5. Juni 1288 die Truppen des Erzbischofs von Köln, Siegfried von Westerburg, und dessen Alliierte vernichtend geschlagen, übrigens auch mit Hilfe der bergischen Bauern, die in ihrer Panik wild um sich schlagend die schwer gepanzerten Ritter des Erzbischofs von den Pferden holten.
Bischöfe, und insbesondere der Kölner, waren in diesen Zeiten nicht nur Diener Gottes, sondern durchaus auch weltliche Landesherren, die über ein stattliches militärisches Potential geboten. Das Erzbistum Köln reichte z.B. am Westufer des Rheins in einem Streifen von etwa Moers am Niederrhein im Norden bis südlich hinter Bonn und umfasste auch große Gebiete östlich des Flusses. Eine pikante Note der Historie will es nebenbei bemerkt, dass die Bürger der großen und stolzen Handelsstadt Köln sich vom Erzbischof, der auch ihr Stadtherr war, befreien wollten und sich mit dem Grafen von Berg zusammenschlossen.
Graf Adolf gedachte jedenfalls, die Lage zu stabilisieren, und da kam ihm wohl ein Dörfchen an der Mündung der Düssel gelegen, das strategisch als Stützpunkt gegen das kölnische „Ausland“ westlich des Rheins dienen konnte. Am 14. August 1288, einen Tag vor dem wichtigen Fest der Himmelfahrt Marias, erhoben er und seine Gattin Elisabeth von Geldern Düsseldorf zur Stadt. Was eine Stadt war, bemaß sich seinerzeit nicht an der Größe oder Einwohnerzahl der Ortschaft, sondern war in erster Linie eine rechtliche Angelegenheit im wahren Wortsinn: Eine Stadt besaß Rechte, die ein Dorf nicht innehatte, so eine eigene Gerichtsbarkeit, eine Stadtbefestigung in Form einer Mauer und nicht zuletzt das Marktrecht. In Düsseldorf konnte nun montags regelmäßig ein Wochenmarkt abgehalten werden. Dazu kamen zwei Jahrmärkte, einer zu Pfingsten im Frühjahr und einer zum Fest des hl. Lambertus Mitte September. Dieser Lambertus, das sei hier noch erwähnt, war Bischof von Maastrich und erlitt nach politischen Ränkespielen im Jahre 705 den Märtyrertod.
Die Größe der Stadt war jedenfalls kaum der Rede wert. Drei- bis vierhundert Einwohner, zumeist Bauern, verteilten sich auf einer Fläche, deren Ausmaß Hugo Weidenhaupt in seiner immer noch lesenswerten „Kleinen Geschichte der Stadt Düsseldorf“ wie folgt skizziert: „Die junge Stadt nahm einen sehr kleinen Raum ein, der nach Süden durch den nördlichen Düsselarm und nach Westen durch den Rhein seine natürlichen Grenzen fand. Nach Norden war in den Bezirk die heute „Altestadt“ genannte Straße einbezogen. Im Osten verlief die Stadtgrenze im Zuge der heutigen Liefergasse.“
In der Ursulinengasse am Ursulinengymnasium unmittelbar neben der Kreuzherrenkirche hängt an der Hausfassade eine Tafel, die dort 1983 angebracht worden ist. Auf dem Boden davor findet sich eine Einlegearbeit in rotem Backstein, die den Verlauf der Stadtmauer 1288 an dieser Stelle markiert.
Auf genannter Tafel lässt sich der Umfang der Stadt nach 1288 tatsächlich wunderbar nachvollziehen.
Im Stadtmuseum findet sich übrigens ein älteres, schon etwas angestaubtes, aber immer noch sehr ansehenswertes Modell des Städtchens um 1300.
http://www.duesseldorf.de/dkult/DE-MUS-038619/279540
In der Tafelmitte finden wir dann auch den Grundriss einer Kirche, und dies ist in der Tat unsere heutige Lambertusbasilika, hier „Stiftskirche“ genannt. Was hat es damit auf sich?
Nach der Erhebung des Dörfchens zur Stadt machte sich Graf Adolf daran, das bereits vorhandene romanische Kirchlein zu einer Stiftskirche aufzuwerten. Nunmehr sollte nicht mehr nur ein einzelner Pfarrer vielleicht mit Hilfsgeistlichen in dieser Kirche dienen, sondern eine ganze Gruppe von Geistlichen, die sog. Stiftsherren, die natürlich entsprechend mit „Pfründen (Präbenden)“ materiell ausgestattet werden mussten, die eben von wohlhabenden Spendern gestiftet wurden. Nach der ersten offiziellen Anerkennung des Stiftes durch den Papst im Jahre 1306 entwickelte sich die neue Gemeinschaft zwar nur langsam, erreichte aber Ende des 14. Jahrhunderts mit vielleicht 40 Mitgliedern eine gewisse Größe. Entscheidend dazu bei trug der für die Entwicklung der Stadt wichtigste bergische Herzog, Wilhelm I, der zusammen mit seiner Gattin Anna dem Stift im Jahre 1392 allein 19 Höfe, z.B. in Wittlaer, Hamm, Himmelgeist, Kaiserswerth und Gerresheim vermachte, dazu zwei Mühlen, diverse Mieteinnahmen und erhebliche Mengen an Getreide und Wein. Die Stiftsgemeinschaft selbst hatte eine Ämterstruktur: An der Spitze stand ein Dechant (Dekan), dazu kamen hohe Positionen wie z.B. die des Scholasters, der für den eigenen Nachwuchs, aber auch die städtische Schule verantwortlich war, und die des Thesaurars, der das Stiftsvermögen verwaltete und auch den Kirchenschatz hütete.
Schauen wir noch ein wenig genauer hin, werden wir bemerken, dass auf der Tafel der Grundriss der Kirche in seiner zeitlichen Entwicklung abgebildet ist.
In der Mitte sehen wir schraffiert das romanische Ursprungskirchlein, wie es schon 1288 existierte. Man kann es sich ähnlich vorstellen wie die kleine romanische Nikolauskirche in Düsseldorf Himmelgeist.
Gegen Mitte des 14.Jahrhunderts wurde dann eine erste, nunmehr gotische Erweiterung vorgenommen. Der Chor, also der Altarraum, wurde vergößert – auf der Tafel markiert mit der Jahreszahl 1350. Hier befinden sich bis heute auch der Pfarraltar mit dem Reliquienschrein des hl. Apollinarius, der barocke Hochaltar und das Chorgestühl, in dem die Stiftsherren dem Gottesdienst beiwohnten. Außerdem wurde mit dem Bau des später bekanntermaßen in Schieflage geratenen Turms begonnen. 1932 hat Oskar Karpa die Baugeschichte rekonstruiert und folgende Skizze der Situation um 1350 angefertigt:
In einem weiteren Schritt wurde dann – auf der Tafel mit 1392 angegeben — um das Ganze ein gotischer Mantel gelegt, der Turm wurde möglicherweise erst Jahrzehnte später vollendet. Der nun entstandene gotische Bau bekam dann auch eine edlere Bestimmung: Am 13. Juli 1394 wurde die Stiftskirche „zu Ehren unserer lieben Frau“, also der Gottesmutter Maria, geweiht, das Stift wandelte sich in ein Marienstift. Der hl. Lambertus wurde neben anderen zu einem Nebenpatron.
Was aber veranlasste Wilhelm dazu, solch ein kostspieliges Projekt umzusetzen? Das Stift mit beträchtlichen Pfründen zu versehen, den Ausbau der Kirche voranzutreiben? Wir können davon ausgehen, dass er u.a. Repräsentationsgründe hatte. Er war nämlich 1380 vom deutschen König Wenzel in den Stand eines Herzogs versetzt worden, zur damaligen Zeit ein – salopp gesagt – ziemlicher Karrieresprung, denn von nun an zählte Wilhelm zur politischen Elite der Reichsfürsten. Diese Funktion musste sich auch im Ausbau des nun immer häufiger als Residenzstadt dienenden Düsseldorf ausdrücken. Wilhelm erweiterte nicht nur das eigentliche Stadtgebiet beträchtlich, das nunmehr von der Ritterstraße im Norden bis zur Wallstraße im Süden reichte und ließ einige Dörfer eingemeinden – so Bilk und später Hamm –, sondern er sorgte eben auch dafür, dass die Stiftskirche dem Rang eines Herzogs gemäß ausgebaut und ausgestattet wurde.
Um 1400 herum hatten Stift und Kirche denn auch einen gewissen Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht. 1438 kam mit dem Orden der Kreuzherren ein erster geistlicher Konkurrent in die Stadt, was von den Stiftsherren nicht gerne gesehen wurde. Der neue Orden ließ ab 1443 die Kreuzherrenkirche bauen, die zweitälteste Kirche in der Altstadt. Zwar blieb das Stift eine wesentliche Konstante in der Stadt, und die Kirche wurde mit dem Tode Wilhelms des Reichen 1592 Grablege der jülich-bergischen Herzöge. Sie musste diese Funktion aber 1642 an das barocke St. Andreas abgeben, das als Kirche der Jesuiten von den neuen Herrschern in Düsseldorf, den ursprünglich aus Bayern stammenden pfälzischen Kurfürsten errichtet worden war. Der bekannteste dieser Kurfürsten, Johann Wilhelm II – unser Jan Wellem – hat bekanntlich im Mausoleum von St. Andreas seine letzte Ruhestätte gefunden. 1634 wurde die Stiftskirche durch die Explosion des nahegelegenen Pulverturms schwer beschädigt und der Altarraum danach mit barockem Hochaltar wiederhergestellt, aber 1805 endete die Geschichte des Marienstiftes. Es wurde im Rahmen der Säkularisierung aufgelöst, und die Kirche erhielt ihren ursprünglichen Status als Pfarrkirche zurück – mit ihrem ersten Patron, dem hl. Lambertus.
© Dr. Peter Hachenberg 29.08.2020
Ein Update dieses Beitrages finden Sie auf der Blogseite von Dr. Peter Hachenberg https://duesseldorfgeschichte.com/
Hier der Text als Geschichte
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