VON PETER HACHENBERG
Ein großer Herr war er schon, unser Jan Wellem, wie der Volksmund den Kurfürsten Johann Wilhelm II. nennt, neben Heinrich Heine vielleicht der bekannteste Düsseldorfer, aber wie wir alle hat er klein angefangen. Bevor wir jedoch einen Blick in seine frühe Kindheit werfen, soll hier kurz daran erinnert werden, wie mächtig der Fürst tatsächlich war.
1658 im Schloss zu Düsseldorf geboren, besaß er in seinen besten Zeiten zu Anfang des 18. Jahrhunderts ein beachtliches Territorium, das verstreut vom tiefen Westen bis in den tiefen Süden Deutschlands reichte, wie die folgende Karte zeigt:
Als Johann Wilhelm II. war er Pfalzgraf, d.h. Herrscher über die Pfalz mit Heidelberg und Mannheim und damit zugleich Kurfürst. Denn der rheinische Pfalzgraf gehörte zu dem exquisiten Klub von seinerzeit acht geistlichen und weltlichen Fürsten, die das Recht hatten, den deutschen König und Kaiser zu wählen. Weiter war er Pfalzgraf-Herzog von Pfalz-Neuburg an der Donau, dem Stammsitz der Familie, und – in unserem Zusammenhang natürlich von besonderem Interesse – Herzog von Jülich und Berg mit der Residenz Düsseldorf. Über die Oberpfalz und die Grafschaft Cham regierte er nur kurz.
Johann Wilhelm spielte mit im Konzert der Mächtigen des Reiches, immer treu an der Seite des Kaisers in Wien, den er nach dessen Todes 1711 sogar als sog. „Reichsvikar“ bis zur Neuwahl vertrat. Hier sehen wir ihn, an der Seite seiner zweiten Frau, der schönen Anna Maria Luisa de’ Medici, in voller Paraderüstung, mit der typisch barocken Allonge-Perücke, die auf einem Kissen ruhende Reichskrone im Arm haltend:
Überhaupt wurde der stolze Kurfürst verewigt in zahlreichen Porträts, Statuen und nicht zuletzt dem imposanten Reiterstandbild seines Bildhauers Gabriel Grupello auf dem Platz vor dem Düsseldorfer Rathaus:
Aber wie erwähnt, auch Große haben klein angefangen! Wie sah Johann Wilhelm aus als zarter Knabe, im Alter von vielleicht fünf bis zehn Jahren? Solche Bildnisse sind wohl eher sehr dünn gesät. Das Stadtmuseum besitzt nach eigener Auskunft keines.
Tatsächlich findet sich jedoch in der Sammlung der Neuen Pinakothek in München ein Johann Spilberg zugeschriebenes, freilich nicht datiertes Gemälde, das Jan Wellem als Kind von vielleicht fünf oder sechs Jahren zeigt. Johann Wilhelm wurde 1658 geboren, das Bild dürfte also um 1664 herum entstanden sein. Es ist zz. nicht ausgestellt und kann hier aus lizenzrechtlichen Gründen auch nur als Schwarz-Weiß-Fotografie wiedergegeben werden.
Die Ähnlichkeit mit der späteren Darstellung auf dem Doppelporträt mit seiner schönen Gattin ist freilich auch so unverkennbar: Derselbe sanfte und freundliche Blick, das charakteristische Kinngrübchen. Der Knabe Johann Wilhelm mit dem schulterlangen, gewellten Haar trägt das zeitübliche lange Kleid, wie es im 17. Jahrhundert sowohl Mädchen als auch Jungen bis zum fünften oder sechsten Lebensjahr trugen. Dass es sich um einen Jungen handelt, kann man erkennen an dem Schwertgriff mit Knauf, der hinter ihm auf Hüfthöhe hervorragt. Erst solche Beigaben machen oft deutlich, welchem Geschlecht das dargestellte Kind angehörte.
Allerdings muss man nicht in die Ferne schweifen, um einen Blick auf Jan Wellem jr. zu erhaschen. Ein kurzer Spaziergang in die Altstadt mit einem Abstecher in die Lambertuskirche, und da kann man ihn sehen, den kleinen Kurfürstennachwuchs, und das sogar in Farbe. Aber dahinter steckt eine besondere Geschichte. Schauen wir uns dazu folgendes Bild an, das in voller Pracht im nördlichen Seitenschiff von St. Lambertus zu finden ist:
Das 1679 zunächst in der Kreuzherrenkirche aufgestellte (posita) oder aufgehängte dreiteilige Bild – ein sog. Triptychon – bezieht sich auf die „Erneuerung und Bestätigung der Rosenkranzbruderschaft durch Papst Alexander VII.“, wie die lateinische Inschrift auf dem oberen Rahmen zeigt. Die Rosenkranzbruderschaft war eine Gemeinschaft von Laien zur Verehrung der Mutter Gottes und kann bis auf mittelalterliche Ursprünge zurückgeführt werden. 1659 wurde die Neugründung der zuvor lange Zeit brachliegenden Bruderschaft durch den Papst bestätigt. Die Sache erwies sich als voller Erfolg: Bereits in den Anfangsjahren waren laut dem Kirchenhistoriker Ulrich Brzosa 1.500 Brüder und Schwestern beigetreten, also ein Viertel der Einwohnerschaft Düsseldorfs, die in dieser Zeit bei etwa 6.000 gelegen haben dürfte. Die prominentesten Mitglieder waren der regierende Kurfürst Philipp Wilhelm und seine Familie.
In der Mitte zeigt das Bild Maria, die Mutter Jesu, wie sie dem neben ihr knienden hlg. Dominikus eine Rosenkranzkette überreicht. Mit Hilfe dieser Gebetskette wenden sich bis heute gläubige Katholiken im Rosenkranzgebet an die Jungfrau Maria. Im roten Gewand neben der Gottesmutter steht Papst Alexander VII., der einem Herrn im linken Bildteil die Erneuerungsurkunde der Bruderschaft überreicht, und dieser Herr ist eben kein anderer als Herzog Philipp Wilhelm, der Vater Jan Wellems. Und wer kniet neben ihm? Sein Sohn – hier offensichtlich noch als Söhnchen – also unser Johann Wilhelm!
Die lateinische Inschrift unter der linken Bildseite zeigt uns den Pfalzgrafen Philipp Wilhelm, Herzog (DUX) von Jülich, Cleve, Berg (MONT), und Sohn Johann Wilhelm, lateinisch: IOANNES WILH: FILIUS, das Wort „filius“ ist den meisten wohl noch als Fremdwort bekannt.
Da haben wir ihn also als Knaben, den großen Düsseldorfer Kurfürsten, wobei sich zunächst einmal die Frage stellt, warum er und nicht einer seiner acht Brüder – die Mutter brachte insgesamt 17 Kinder zur Welt – neben seinem Vater knien darf? Die Angelegenheit lässt sich rasch klären. Als ältester Sohn war er der erbberechtigte Kurprinz, sicherte also den Fortbestand der Herrschaft. Hier kommt noch einmal das Jahr der Aufstellung des Bildes 1679 ins Spiel: Es war genau das Jahr, in dem Phillip Wilhelm seinem Ältesten die Herrschaft über Jülich und Berg übertrug, also das Jahr des Antritts der Regentschaft Johann Wilhelms! Man kann also die These wagen, dass der Vater die Gelegenheit nutzte, mit der Aufhängung des Gemäldes seinen Sohn noch einmal unter den besonderen Schutz der Madonna zu stellen.
Es sei hier unbedingt noch erwähnt, dass auf dem rechten Teil des Triptychons Johann Wilhelms Mutter, die Herzogin Elisabeth Amalie Magdalene, mit ihrer ältesten Tochter Eleonore abgebildet ist, die 1676 den deutschen Kaiser Leopold heiratete. Johann Wilhelm selber war ja in erster Ehe mit der Halbschwester Leopolds, der Erzherzogin Maria Anna Josepha von Österreich verehelicht. Engste familiäre Beziehungen zum Kaiserhaus also!
Bzgl. Authentizität der Darstellung des kleinen Johann Wilhelm bleiben natürlich gewisse Zweifel: Das Bild wurde wahrscheinlich 1679 oder vielleicht etwas früher gemalt, und man fragt sich, was für ein Vorbild der unbekannte Künstler für das Kinderporträt hatte? Jan Wellem selbst (geb. 1658) war zum Zeitpunkt der Erneuerung der Bruderschaft gerade mal ein Jahr alt, aber auf dem Bild ist er dem Kleinkindalter entwachsen, was man schon daran erkennt, dass er offensichtlich Männerkleidung trägt – obwohl die Gemäldequalität hier sehr gelitten hat – und nicht mehr wie auf dem Münchner Porträt Mädchenkleidung. Immerhin ist es aber möglich, dass der Maler Zugriff auf das Gemälde von Spilberg hatte. Die Darstellung der Gesichtszüge ist unverkennbar ähnlich, wenngleich der kleine Johann Wilhelm in der Lambertuskirche im Profil und nicht wie auf dem Münchener Bild mit nur leichter Kopfdrehung zu sehen ist.
Aber wie dem auch sei – den lassen wir uns jetzt erst einmal nicht mehr nehmen, unseren Jan Wellem jr. in der Lambertuskirche! Wenn sich aber unter Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, jemand finden sollte, der weitere Kinderporträts Jan Wellems beisteuern könnte, das wäre einfach wunderbar!
Noch ein kleiner Hinweis: Wenn Sie mehr über die Geschichte der Lambertuskirche erfahren wollen, können Sie gern auf meinen kürzlich veröffentlichten Artikel unter https://www.lokalbuero.com/2020/08/30/eine-kurze-geschichte-der-lambertuskirche/ zugreifen.
© Dr. Peter Hachenberg 18.10.2020
Ein Update dieses Beitrages finden Sie auf der Blogseite von Dr. Peter Hachenberg https://duesseldorfgeschichte.com/
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