Die Pestverordnung von 1577
VON PETER HACHENBERG
Im 16. Jahrhundert befand sich Düsseldorf auf Wachstumskurs. Der Historiker Erich Wisplinghoff geht in seiner Darstellung der frühen Neuzeit in unserem Städtchen davon aus, dass es „um 1542 etwa 4200–4300 Einwohner gezählt haben wird, wovon etwa 1900–2000 in den Außenbezirken gewohnt haben mögen.“ Solche Bezirke waren die außerhalb der Stadtmauer gelegenen Vororte wie Hamm oder Derendorf. Es sei zu vermuten, so der Historiker weiter, „daß die Düsseldorfer Bevölkerung auch nach 1542 um einiges zugenommen hat.“ Diese Zunahme war Teil des allgemeinen Aufschwungs, der sich auch darin zeigte, dass man sich ab 1570 den Bau eines neuen Rathauses leistete, so wie wir es heute noch auf dem Marktplatz bewundern können. Die Stadt mag um 1570, schätzt Wisplinghoff, „4600 bis 4700 Einwohner gehabt haben.“
Dann erfolgte der Einbruch. Für 1596 wird von anderen Historikern nur noch eine Einwohnerzahl von 3.500 bzw. 3.700 angegeben, Ansätze, die nach Wisplinghoff „durchaus akzeptiert werden können.“ Wenn wir die niedrigeren Zahlen zugrunde legen – also 4.600 um 1570 und 3.500 im Jahr 1596 –, so ergibt sich innerhalb eines Vierteljahrhunderts ein Bevölkerungsverlust von 1.100 Menschen, sprich von fast 24%. Der Grund für diese Entwicklung waren zwei heftige Wellen des Schwarzen Todes: Die Pest suchte Düsseldorf 1577–1580 und 1584–1588 in bis dahin unbekannter Intensität heim. Für diese Jahre könne man errechnen, dass „knapp zwei Drittel bis etwa 70% der Düsseldorfer Bevölkerung an der Pest gestorben ist“, so Wisplinghoff. Eine niedrige Geburtenrate sowie die nur noch unzureichende Zuwanderung vom flachen Lande konnten diesen Verlust an Menschen dann nicht mehr ausgleichen.
Natürlich stand Düsseldorf mit diesen traurigen Zahlen nicht alleine da. Seit dem Mittelalter und noch weit bis ins 18. Jahrhundert hinein waren in ganz Europa immer wieder große Ausbrüche zu verzeichnen. Die Krankheit konnte nicht ursächlich behandelt werden, Methoden wie der Aderlass oder das Aufschneiden der Pestgeschwüre griffen nicht, die Menschen gingen innerhalb weniger Tage elendiglich zugrunde. Die prophylaktische Verabreichung von Medikamenten, wie dem verbreiteten Allheilmittel Theriak, das insgesamt aus ca. 70 Kräutern und Wurzeln bestand, erwies sich ebenso als nutzlos.
Man erkannte jedoch bald, dass die Pest von Mensch zu Mensch oder durch verseuchte Gegenstände übertragen werden kann und ergriff entsprechende Maßnahmen.
Ein typisches Beispiel für behördliche Versuche, die Ausbreitung der Seuche zu verhindern, ist die Verordnung über Maßnahmen gegen die Pest, die am 2. September 1577 vom damals in Düsseldorf regierenden Herzog Wilhelm V., genannt der Reiche, herausgegeben wurde.
Ich habe in den Zitaten zur besseren Lesbarkeit die im Dokument vorkommenden Querstriche weggelassen und z.T. durch Kommata ersetzt. Am besten versteht man die Zitate ohnehin, wenn man sie laut vorliest. Versuchen Sie es einmal! Sie werden erstaunt sein, wie gut Sie Frühneuhochdeutsch verstehen.
Es wundert zunächst natürlich nicht, dass in dieser vom christlichen Glauben so stark geprägten Zeit Gott um Beistand gebeten wird. Die Menschen mögen Buße tun, die Messe besuchen und das Altarssakrament empfangen, also das heilige Abendmahl zu sich nehmen.
Sofern „durch die Gotliche barmhertzigkeit solche grewliche plag nit abgewendt (…), das sie teglichs (täglich) je mehr und mehr sich außbreiten wirdet“, sollen die „Unterthanen zu ernster Christlicher wahrer buß und penitentz (Strafe) deßgleichen zu niessung (zur Nutzung, zum Gebrauch, Empfang) des Hochwurdigen Sacraments des altars“ angehalten werden. Auch gelte es, den „Allmechtigen gutigen Gott zu abwendung seines vor augen scheinenden zorns hertzlich zu bitten (…)“.
Dann aber folgen höchst praktische, irdische Maßnahmen, wie die Krankheit gebändigt werden soll:
Kennzeichnungspflicht
So müssten Häuser, in denen die Pest aufgetreten sei, mit einem Strohbündel markiert werden. Ansonsten wäre mit Strafen zu rechnen. Es wird verfügt, “das bej einer Peen (Strafe) von zehen Golt gulden ein jeder vor sein Hauß, da angeregte (genannte) geferliche kranckheit gewest oder noch ist, ein bundlein stroeß (ein Bündlein Stroh) zu einem zeichen aufsteche (…)“.
Quarantäne
Kranke und ihre Betreuer seien zu isolieren und dürften sich nicht unter die Leute begeben, also „das auch die jenige, welche solche kranckheit in den heusern haben, sambt (samt, zusammen mit) denen, so irer warten (die sie betreuen), sich nit zu kirchen, strassen oder under die gemeine (Gemeinde) unnd geselschafft begeben: sonder in den heusern verbleiben oder aber, da es sonst einsam ist, gehen und wandelen “.
Verlassene Pesthäuser dürften nicht wieder betreten werden. Die „mit solchem feur der pest angezundte und ausgestorbene wonungen (soll man) verschlossen halten und niemand so bald darin lassen.“
Ebenso wird untersagt, Gegenstände aus dem Haus zu entfernen: „Zudem innerhalb dreien oder vier Monate keine kleider, bedde (Betten), betdecken, speck, wolle oder andere gueter darauß tragen“.
Reiseverbote
Zuletzt werden Reiseverbote ausgesprochen. Man vermeide es, in von der Pest befallene Orte zu reisen. Wer dies dennoch tue, dürfe zumindest für eine gewisse, noch zu benennende Zeit nicht wieder in den Ausgangsort zurückkehren.
Auch „ein jeder an die orter (Orte), da gemelte kranckheit vorhanden, zu reisen sich souiel (soviel) moglich meide.
Imfal (Im Fall) aber jemandt dawidder (dagegen) mutwilliglich handlen wurde, were (wäre) derselbig in einer nach gelegenheit benenter zeit nit widder in unsere Stette und Vlecken (Städte und Flecken) zu nehmen, sonder darauß zu halten.“
Der Erlass wurde im Übrigen nicht in Düsseldorf, sondern in der Benediktinerabtei auf dem Siegberg, dem späteren Michaelsberg, in Siegburg verfasst. Der Fürst hatte sich offensichtlich vor der Pest aus Düsseldorf zurückgezogen, was unter den gegebenen Umständen wohl auch die einzige Möglichkeit war, sich effizient zu schützen.
© Dr. Peter Hachenberg 19.03.21
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Quelle und Literatur:
Verordnung Wilhelms V. über Maßnahmen gegen die Pest, 2. September 1577 (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf Hs, L II Nr. 8, I Bl. 54), in: Ernst Hugenbeck, Dokumentation zur Geschichte der Stadt Düsseldorf Bd. 8, Düsseldorf in der Reformationszeit 1510 – 1609, Quellensammlung, hrg. Pädagogisches Institut der Landeshauptstadt Düsseldorf, 1986), S. 249
Nutzung mit freundlicher Genehmigung des Schulverwaltungsamtes der Stadt Düsseldorf
Erich Wisplinghoff, Mittelalter und frühe Neuzeit. Von den ersten schriftlichen Nachrichten bis zum Ende des Jülich-Klevischen Erbstreits (ca. 700‑1614), in: Hugo Weidenhaupt (Hrg.), Düsseldorf. Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert, Band 1: Von der ersten Besiedlung zur frühneuzeitlichen Stadt (bis 1614), S. 161–445, besonders S. 211f. und S. 282– 286