Sieg­fried Hoymann war vor 50 Jah­ren für die Ein­ge­mein­dung von Witt­laer, Kal­kum und Anger­mund in den Düs­sel­dor­fer Nor­den zustän­dig. Photo: Stahl

 

Von Chris­tof Roche

Die kom­mu­nale Neu­glie­de­rung in Nord­rhein-West­fa­len trat am 1. Januar 1975 vor 50 Jah­ren in Kraft. Mit der Gebiets­re­form schrumpfte die Zahl der Gemein­den, Land­kreise und kreis­freien Städte in NRW dras­tisch – von meh­re­ren Tau­send auf einige Hun­dert. Auch das Amt Anger­land war von der Reform betrof­fen: Es wurde auf­ge­löst, und seine Gemein­den Witt­laer, Kal­kum und Anger­mund wur­den im Nor­den der Lan­des­haupt­stadt Düs­sel­dorf ein­ge­mein­det. Die übri­gen Gemein­den – Breit­scheid, Egger­scheidt, Hösel und Lin­torf – gin­gen an Ratingen.

Am Bei­spiel von Witt­laer spra­chen die Nord­News mit dem Zeit­zeu­gen Sieg­fried Hoymann über die dama­lige Stim­mung in der Bevöl­ke­rung zur Gebiets­re­form und die Aus­wir­kun­gen der Neu­glie­de­rung. Hoymann war vor fünf Jahr­zehn­ten als Res­sort­lei­ter im Amt Anger­land für die Ver­hand­lun­gen zur Ein­ge­mein­dung nach Düs­sel­dorf zuständig:

Nord­News: Wie war die Stim­mung unter den Bür­gern in Witt­laer vor der Gebietsreform?

Sieg­fried Hoymann: Ich würde sagen, die Stim­mung war gemischt. Natür­lich gab es eine Reihe von Bür­gern, die einen Ver­bleib von Witt­laer im Ver­bund Amt Anger­land bevor­zugt hät­ten. Aber im Grunde war allen klar, dass Witt­laer und Kal­kum nicht als eigen­stän­dige Gemein­den zu hal­ten waren. Des­halb haben wir den Spieß kur­zer­hand umge­dreht und sind in die Offen­sive gegangen.

Nord­News: Das heißt?

Sieg­fried Hoymann: Wir sind von uns aus an die Stadt Düs­sel­dorf her­an­ge­tre­ten und haben den Wunsch nach Ein­ge­mein­dung in die Lan­des­haupt­stadt hin­ter­legt. Der Vor­stoß stieß auf Wohl­ge­fal­len, und wir sind in die Ver­hand­lun­gen ein­ge­stie­gen. Diese ver­lie­fen äußerst freund­schaft­lich und kon­struk­tiv. Der Vor­teil für Witt­laer und Kal­kum war, dass wir direkt am Ver­hand­lungs­tisch saßen – es waren keine Drit­ten, die die Gesprä­che führ­ten. Das war die Grund­lage dafür, dass wir im Ver­trag mit Düs­sel­dorf wich­tige Anlie­gen durch­set­zen konnten.

Nord­News: Wel­che waren das?

Sieg­fried Hoymann: Zunächst ein­mal: Die Stadt Düs­sel­dorf hat sämt­li­che Ver­mö­gens­werte – mobil und immo­bil – von Witt­laer über­nom­men und damit natür­lich ihre Pla­nungs- und Gebiets­ho­heit erwei­tert. Im Gegen­zug hat die Stadt zuge­si­chert, spe­zi­fi­sche Ver­pflich­tun­gen für Witt­laer ein­zu­hal­ten, wie etwa alles in ihrer Macht Ste­hende zu unter­neh­men, um das linke Rhein­ufer gegen­über von Witt­laer frei von Indus­trie­an­la­gen zu halten.

Nord­News: Aber es waren doch quasi Ver­hand­lun­gen David gegen Goliath …

Sieg­fried Hoymann: … das ist rich­tig, aber die Stadt Düs­sel­dorf hat sich uns gegen­über stets sehr fair ver­hal­ten – sowohl bei den Ver­hand­lun­gen zur Ein­ge­mein­dung als auch in den Jah­ren nach der Neu­glie­de­rung. Und wir dür­fen in die­sem Zusam­men­hang nicht ver­ges­sen: Auf Witt­lae­rer Seite waren stets kluge Ver­hand­lungs­füh­rer, wie etwa Pro­fes­sor Lange, mit dem wir ver­hin­dern konn­ten, dass die Flug­rou­ten des Düs­sel­dor­fer Flug­ha­fens über Witt­laer geführt wur­den. Die Witt­lae­rer waren immer hell­wach und haben auf Augen­höhe argumentiert.

Nord­News: Was wurde im Zusam­men­spiel mit Düs­sel­dorf noch erreicht?

Sieg­fried Hoymann: Mit der Stadt Düs­sel­dorf im Rücken haben wir es geschafft, dass auf der ande­ren Rhein­seite weder ein geplan­tes Koh­le­kraft­werk noch eine Son­der­müll­ver­bren­nungs­an­lage im Kre­fel­der Hafen rea­li­siert wur­den. Die Unter­stüt­zung der Lan­des­haupt­stadt war auch beim Bau der neuen B8 hilf­reich. Ursprüng­lich sollte die B8n am Hei­li­gen­häus­chen in Anger­mund enden. Mit Edgar Schwarz auf Witt­lae­rer Seite sowie dem dama­li­gen Düs­sel­dor­fer OB Joa­chim Erwin konn­ten wir errei­chen, dass die B8n bis zum Duis­bur­ger Süd­kreuz der Auto­bahn ange­bun­den wurde. Das waren schwie­rige und zähe Ver­hand­lun­gen mit dem Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­rium, dem Land NRW, der Stadt und den Grund­stücks­ei­gen­tü­mern, die sich schließ­lich aber mode­rat zeig­ten. Allein hätte Witt­laer das nie­mals geschafft – das ging nur, weil es Teil von Düs­sel­dorf war.

Nord­News: Und wie war das mit der Bebauung?

Sieg­fried Hoymann: Das ist sicher­lich ein Bei­spiel, bei dem Goli­ath die Ober­hand behielt. Ich erin­nere mich noch gut daran, da ich Bezirks­bür­ger­meis­ter im Düs­sel­dor­fer Nor­den war und als Rats­herr im Aus­schuss für Pla­nung und Stadt­ent­wick­lung saß. Es gab einen Wett­be­werb, und der Gewin­ner­ent­wurf sah eine Bebau­ung der Fel­der, die größ­ten­teils von der Graf-Recke-Stif­tung stamm­ten, für 4000 Ein­woh­ner vor. Das hät­ten wir nie ver­kraf­tet und sind dage­gen Sturm gelaufen.

Nord­News: Mit Erfolg?

Sieg­fried Hoymann: Ich muss sagen, wir hat­ten Glück, da die beauf­tragte Bau­firma plei­te­ging. Das haben wir genutzt, um nach­zu­ver­han­deln. Mit dem Ein­ver­ständ­nis von Düs­sel­dorf haben wir erreicht, dass die Zahl der Mehr­fa­mi­li­en­häu­ser deut­lich redu­ziert und die Bau­weise der Ein­fa­mi­li­en­häu­ser von zwei auf andert­halb Geschosse gesenkt wurde. Damit wurde die geplante Ein­woh­ner­zahl hal­biert. Mehr war damals aber nicht drin.

Nord­News: … obwohl die Stadt Düs­sel­dorf im Ver­trag mit Witt­laer eine scho­nende Bebau­ung vorsah …

Sieg­fried Hoymann: Ja, das ist rich­tig. Im Ver­trag mit der Lan­des­haupt­stadt ist fest­ge­hal­ten, dass die Stadt Düs­sel­dorf das Gebiet der ehe­ma­li­gen Gemeinde Witt­laer in Anleh­nung an die vor­han­dene Bebau­ung und Bau­weise wei­ter­ent­wi­ckeln wird. Wir sind mit Düs­sel­dorf in sehr vie­len Punk­ten gut gefah­ren, aber eben nicht in allen.

Nord­News: Noch ein­mal zurück zur kom­mu­na­len Neu­glie­de­rung: Kann man sagen, dass mit dem Ver­lust der Eigen­stän­dig­keit als Gemeinde auch ein Demo­kra­tie­ver­lust einherging?

Sieg­fried Hoymann: Auf den ers­ten Blick könnte man die­sen Ein­druck gewin­nen. In der Rea­li­tät würde ich jedoch sagen: Nein. Zum einen, weil die neue Gemein­de­ord­nung von 1975 in NRW für Groß­städte und kreis­freie Städte die Ein­rich­tung von Bezirks­ver­tre­tun­gen vor­sah, die die ers­ten poli­ti­schen Ansprech­part­ner der Bür­ger sind. Im Düs­sel­dor­fer Nor­den ist das die BV 5 für die Orts­teile Witt­laer, Kal­kum, Anger­mund, Sto­ckum, Lohau­sen und Kai­sers­werth. Zum ande­ren wur­den infolge der kom­mu­na­len Neu­glie­de­rung zahl­rei­che Bür­ger­ver­eine gegrün­det, wie auch der Hei­mat- und Kul­tur­kreis Witt­laer, die sich inten­siv in den poli­ti­schen Dis­kurs einschalteten.

Nord­News: Hätte die regio­nale Neu­aus­rich­tung auch anders lau­fen können?

Sieg­fried Hoymann: Ja, es gab zwi­schen­zeit­lich Plan­spiele, Witt­laer im Zuge der kom­mu­na­len Neu­glie­de­rung nach Duis­burg zu zie­hen. Das aber haben die Bür­ger in Witt­laer kate­go­risch abge­lehnt. Des­halb sind sie ja in die Offen­sive gegan­gen und haben den Kon­takt zu Düs­sel­dorf gesucht. Im Übri­gen war der Vor­stoß von Witt­laer am Ende auch ein Weck­ruf für Anger­mund. Dort wurde noch 1974 eine Umfrage erho­ben: Wohin möch­ten Sie ein­ge­mein­det wer­den – nach Düs­sel­dorf oder nach Duis­burg? Das Ergeb­nis: Gerade mal zwei Stim­men für Duis­burg. Da war es aller­dings auch schon fünf vor zwölf. Für den Gebiets­än­de­rungs­ver­trag mit der Stadt Düs­sel­dorf hat es aber trotz­dem noch gereicht.

 

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