Jac­ques Til­lys Mot­to­wa­gen zum Rosen­mon­tag in Düs­sel­dorf wan­dern seit Jah­ren durch die welt­wei­ten Medien. Es ist über­fäl­lig, dem „bür­ger­li­chen Sati­ri­ker“ in sei­ner Hei­mat­stadt eine Aus­stel­lung zu wid­men. Zum 200. Jubi­läum des Kar­ne­vals kommt das Stadt­mu­seum dem nach.

„Mein Bru­der hat immer tech­ni­sche Bau­käs­ten geschenkt bekom­men und wurde Inge­nieur“, erzählte der Düs­sel­dor­fer vor einem baden­den rus­si­schen Des­po­ten im Palais Spee. „Ich erhielt Pla­ka­far­ben, weil meine Eltern gese­hen haben, der Junge will malen.“ So wurde sein Wer­de­gang zu einem der bedeu­tends­ten Düs­sel­dor­fer Künst­ler im Eltern­haus gelegt und vor allen Din­gen geför­dert. Auch aus die­sen Kin­der- und Jugend­ta­gen stam­men Expo­nate, die seine Eltern zusam­men­ge­tra­gen und seit jeher ver­wahrt haben. Im Vor­feld der Aus­stel­lung habe er ver­staubte Kis­ten geöff­net und sich „zum aller­ers­ten Mal mit mei­ner eige­nen Kind­heit und Jugend kon­fron­tiert.“ Die­ser Blick in die Ver­gan­gen­heit „war ein biss­chen Selbst­fin­dung“, und so ver­sah er den selbst­kri­ti­schen Teil über sein Talent – „mau, also nicht so über­ra­gend“ – mit einem gro­ßen Aber. „Ich sehe in die­sen Bil­dern, in die­sen frü­hen Arbei­ten eine sehr starke Ener­gie, eine Schaf­fens­kraft, die ein­fach schon immer da war.“

Von die­ser Schaf­fens­kraft erzählt nun die Aus­stel­lung, die einem Spa­zier­gang durch die Jahr­zehnte an Zeich­nun­gen, Male­rei, Wagen­bau und Satire gleicht und in das Jubi­lä­ums­jahr der 200. Wie­der­kehr des ers­ten Rosen­mon­tags­zu­ges passt. Schließ­lich hätte das jecke Düs­sel­dorf ohne Tilly nie die Bedeu­tung erhal­ten, die es heute an jedem Rosen­mon­tag ausstrahlt.

Der Aus­stel­lungs­be­such ist ebenso ein Tref­fen mit alten Bekann­ten. Mit den poli­ti­schen Gar­den wie Franz-Josef Strauß, Diet­rich Gen­scher und natür­lich Hel­mut Kohl, zu dem Tilly eine beson­dere Affi­ni­tät besitzt. Nach dem Abitur am Come­nius-Gym­na­sium – „das war das roteste über­haupt“, so der Wagen­bauer – sei er zum ers­ten Mal in die Wagen­bau­halle gekom­men und zeich­nete sei­nen ers­ten Ent­wurf: Bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl auf einer Liege mit Cola­fla­sche und Son­nen­brille. „Und dahin­ter war die Wirt­schafts­krise, der Leer­stel­len­man­gel und die Arbeits­lo­sig­keit abge­bil­det. Das war der aller­erste Wagen, den ich gebaut habe.“ Dies liegt nun über vier Jahr­zehnte zurück.

Doch das krea­tive Schaf­fen Til­lys ein­zig auf den Wagen­bau-Aspekt zu redu­zie­ren, ver­fehlt die Band­breite sei­nes Wer­kes. Bil­der, Puz­zle­spiele oder Minia­tu­ren berei­chern diese Werk­schau ebenso wie ein Blick in die Wagen­bau­halle, dem krea­ti­ven Ner­ven­zen­trum. Des­halb die Aus­stel­lung unter dem Thema „Kunst und Poli­tik“ zu fas­sen, zwängt das vor­han­dene Werk in ein zu eng geschnür­tes Kor­sett. Zwar kann jedes Thema „poli­tisch“ betrach­tet wer­den, doch letzt­end­lich geht es um den ver­schärf­ten Blick eines Sati­ri­kers auf die Gesell­schaft. Dazu gehört Til­lys Kir­chen­kri­tik, seine Mei­nung zum Brexit oder die Ahrtal­hoch­was­ser­ka­ta­stro­phe genauso wie seine fast schon dys­to­pi­sche Sicht auf den Umgang des Men­schen mit der Erde, die er ein­drucks­voll in Groß­skulp­tu­ren ver­ewigte und damit als Zeit­zeuge ihren Ein­fluss auf die Gesell­schaft doku­men­tiert. Die Werk­schau hebt eher die Bedeu­tung von Frei­heit und Auto­no­mie in sei­nem Schaf­fen hervor.

Nun erhal­ten die meis­ten Kul­tur­schaf­fen­den erst gegen Ende ihrer Lauf­bahn eine Retro­spek­tive, womit das Gesamt­werk eine umfas­sende Bewer­tung erhält – von der ers­ten Kin­der-Kühl­schrank­zeich­nung bis hin zu auf­se­hen­er­re­gen­dem Groß­for­mat. Wird mit die­ser Aus­stel­lung nun der Abschied von dem genia­len Wagen­bauer ein­ge­läu­tet? Ein Blick nach Mainz lässt diese Gedan­ken ver­stum­men. „Die­ter Wen­ger hat 60 Jahre lang, bis er 82 Jahre alt war, Wagen gebaut und dies erst letz­tes Jahr abge­ge­ben. Jetzt ist er gestor­ben. Das soll mir nicht pas­sie­ren.“ Er werde noch ein paar Jahre wei­ter­ma­chen und nach und nach sei­nem Team die Arbeit über­ge­ben und dann „andere Dimen­sio­nen des Lebens erfor­schen. Die Mot­to­wa­gen-Ent­würfe werde ich aber wei­ter­hin machen.“ Ein Ver­spre­chen, das CC-Prä­si­dent Lothar Hör­ning gerne hörte – ebenso wie Tilly die Zusage, dass sich das Düs­sel­dor­fer Car­ne­vals Comi­tee nie in seine Ent­würfe ein­mi­schen würde. „Das ist für mich eine unheim­lich tolle Situation.“

Die Frei­heit des Geis­tes, der Gesell­schaft und der Mei­nungs­äu­ße­rung lie­gen Tilly – sozia­li­siert in den 80ern – am Her­zen, und so wurde die Vor­ab­an­sicht im Stadt­mu­seum letzt­lich zu einer Kund­ge­bung. Vom „Angrei­fer“ sei er nun in die Ver­tei­di­gungs­rolle gewech­selt, kon­terte er die Kri­tik an der Ver­lei­hung des NRW-Lan­des­ver­dienst­or­dens aus der Hand von Minis­ter­prä­si­dent Hen­drik Wüst (CDU). „Wir erle­ben jetzt von rechts und rechts­extre­mer Seite einen sehr har­ten Gene­ral­an­griff auf unsere demo­kra­ti­schen Werte, auf unse­ren bür­ger­li­chen Ver­fas­sungs­staat, auf den Plu­ra­lis­mus, auf die offene Gesell­schaft. Und des­halb haben sehr viele Sati­ri­ker auch die Sei­ten gewech­selt. Wir ste­hen voll und ganz vor unse­rem Sys­tem und ver­tei­di­gen das jetzt“, so Tilly, der seine Ansich­ten nicht ver­ra­ten sieht, son­dern diese im Kampf für die Demo­kra­tie aus­drückt. „Wir müs­sen zusam­men­hal­ten. Wir müs­sen die Werte bis zum bit­te­ren Ende ver­tei­di­gen“, plä­dierte der „bür­ger­li­che Sati­ri­ker“. Dabei stellt sich die Frage, wo die kri­ti­sche Distanz als Sati­ri­ker im Rosen­mon­tags­zug beginnt und wo sie als Wer­be­part­ner („nar­wali“) für die gute Sache endet.

So wird auch US-Prä­si­dent Donald Trump wie­der auf einem Wagen die per­sön­li­che Mei­nung Til­lys ertra­gen müs­sen. „Egal, was er sagt, auch wenn es der letzte Mist ist, alle reden über ihn. Inso­fern berei­tet mir das ein biss­chen Bauch­schmer­zen. Er ist natür­lich ein welt­po­li­ti­scher Fak­tor, der extrem wich­tig ist. Hoch­ge­fähr­lich, ein gefähr­li­cher Irrer, müs­sen wir alle wohl gar nicht drü­ber reden. Aber vier Jahre noch­mal, das ist hart. Also, 16 Jahre Kohl waren schon schlimm.“ Doch der Düs­sel­dor­fer Kar­ne­val scheint mit Tilly an der Spitze des Rosen­mon­tags­zu­ges bes­tens gewapp­net, selbst diese Zeit zu über­ste­hen – sati­risch, bis­sig und manch­mal böse. Am Ende bleibt halt ein inhalts­lo­ser Draht­kopf übrig, der den när­ri­schen Weg alles Irdi­schen gehen wird. Am Ascher­mitt­woch ist eben alles, fast alles vorbei.