Hen­drik Knopp von Nuuvera, Prof. Dr. med. Andreas Meyer-Falcke und Dr. rer. nat. Pierre Debs von Canopy Growth Cor­po­ra­tion Foto: LOKALBÜRO

 

Din­ner­talk am 3. Juni 2019
Wirt­schafts­fak­tor Cannabis

 

Es kam wie erwar­tet und am Ende wurde auch diese Frage dis­ku­tiert: „Kommt die Lega­li­sie­rung von Can­na­bis zu Genuss­zwe­cken?“ Im Mit­tel­punkt des Din­ner­talks, den der Düs­sel­dor­fer Bei­geord­nete für Gesund­heit, Prof. Dr. med. Andreas Meyer-Falcke mode­rierte, stand aber zunächst die wirt­schaft­li­che Bedeu­tung von Can­na­bis zu medi­zi­ni­schen Zwecken.

In einem kurz­wei­li­gen Talk gewähr­ten zwei Ver­tre­ter glo­bal agie­ren­der Can­na­bis­fir­men inter­es­sante Ein­bli­cke in ihre Arbeit: Dr. rer. nat. Pierre Debs von Canopy Growth Cor­po­ra­tion und Hen­drik Knopp von Nuuvera, der deut­schen Toch­ter des kana­di­schen Unter­neh­mens Aphria. Canopy Groth gehört wie Aphria zu den Big Play­ern der Bran­che, so hat jüngst im Mai Canopy Growth für knapp 226 Mil­lio­nen € das Can­na­bis-Geschäft der deut­schen Biono­rica übernommen.

Der Talk konnte kaum bes­ser ter­mi­niert sein. Am 17.4. und 20.5.2019 hatte das BfArM, das zustän­dige Bun­des­in­sti­tut für Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­dukte, drei Fir­men den Zuschlag erteilt, ins­ge­samt 2,6 Ton­nen Can­na­bis jähr­lich zu medi­zi­ni­schen Zwe­cken in Deutsch­land her­zu­stel­len und an die eigens ein­ge­rich­tete Can­na­bis­agen­tur zu ver­kau­fen. Nuuvera ist eine der drei Fir­men. Auch der zweite Pro­du­zent (Aurora) ist ein kana­di­sches Unter­neh­men. Beide zusam­men haben den Zuschlag für den Löwen­an­teil der aus­ge­schrie­be­nen Men­gen bekom­men (10 von 13 Losen), der dritte ist Deme­can (Deut­sches Medi­cinal-Cana­bis, Berlin).

Allein hier­aus erge­ben sich inter­es­sante Fra­gen: Pro­hi­bi­tion Part­ners (https://prohibitionpartners.com) geht davon aus, dass der Markt für medi­zi­ni­sches Can­na­bis allein in Deutsch­land rund 7,7 Mil­li­ar­den €, in ganz Europa 58 Mil­li­ar­den € errei­chen könnte. Nach die­sen Schät­zun­gen und einem Apo­the­ken­preis von 24 €/g liegt der Bedarf an medi­zi­ni­schem Can­na­bis in Deutsch­land bei ca. 300 Ton­nen. Das BfArM aber hat ledig­lich 2,6 Ton­nen ver­ge­ben. Warum also wird so wenig ausgeschrieben?

Der Ver­dacht, dass das „fach­of­fi­zi­elle“ Deutsch­land erst nach und nach begreift, dass Can­na­bis ein Mit­tel ist, das mehr und mehr in die the­ra­peu­ti­schen Über­le­gun­gen ein­be­zo­gen wer­den muss, liegt nahe. Zurück­hal­tung bei den ver­schrei­ben­den Ärz­ten oder eine nicht sehr aus­ge­prägte Finan­zie­rungs-Bereit­schaft der Kran­ken­kas­sen tre­ten dabei nach Auf­fas­sung der Exper­ten zuneh­mend in den Hin­ter­grund als Ursa­che. Die Bedarfe, also die 2,6 Ton­nen, habe das BfArM aller­dings auf der Basis „alter“ Zah­len ermit­telt, als die the­ra­peu­ti­sche Unter­stüt­zung mit Can­na­bis eben noch nicht zum ärzt­li­chen Stan­dard-Reper­toire gehörte.

Da das „deut­sche Can­na­bis“ natür­lich erst ein­mal ange­pflanzt wer­den und her­an­wach­sen muss, ist die erste Lie­fe­rung von Can­na­bis aus deut­scher Pro­duk­tion erst für das vierte Quar­tal 2020 zuge­si­chert. Daher muss Deutsch­land auch mit­tel­fris­tig noch auf den Import von Can­na­bis in gro­ßem Umfang zurück­grei­fen; bemer­kens­wert dabei ist, dass die­ser Import nicht der Steue­rung durch das BfArM unterliegt.

Auch der Ein­druck, dass kana­di­sche Fir­men „die Nase vorn haben“, weil die Lega­li­sie­rung von Can­na­bis zu medi­zi­ni­schen Zwe­cken in Deutsch­land erst vor kur­zem erfolgte, wurde in der Dis­kus­sion ein­deu­tig bestä­tigt. Wenn man bedenkt, wel­ches Know-how erfor­der­lich ist, Can­na­bis unter kon­trol­lier­ten Bedin­gun­gen her­an­wach­sen zu las­sen, kein Wun­der. Kaum einer der Anwe­sen­den hatte sich bis­lang Gedan­ken dar­über gemacht, dass hier ein Natur­pro­dukt der­ma­ßen stan­dar­di­siert „gepflegt“ wer­den muss, dass die Schwan­kungs­breite des Wirk­stof­fes phar­ma­zeu­ti­schen Vor­ga­ben stand­hält, also mög­lichst gering ist. Und kaum ein Zuhö­rer hatte sich bis­lang vor­ge­stellt, wie viele Arbeits­plätze neben der Errich­tung einer sol­chen Anlage auch im Betrieb ent­ste­hen, auch wenn der Kern der Anlage voll­au­to­ma­tisch (!) arbei­tet: Arbeit gibt es von der Qua­li­täts­si­che­rung bis hin zur Gebäu­de­be­wa­chung genug. Ein Invest­ment im zwei­stel­li­gen Mil­lio­nen­be­reich und ein gro­ßer Beschäf­ti­gungs­ef­fekt für die Kom­mu­nen, in denen eine sol­che „Fabrik“ wächst.

Bedarf an Can­na­bis zu medi­zi­ni­schen Zwe­cken besteht offen­kun­dig. So hat bei­spiels­weise die Bun­des­re­gie­rung 2017 eine Liste mit ca. 10 Krank­hei­ten / Sym­pto­men ver­öf­fent­lich, bei denen Can­na­bis hel­fen kann. Wohl­ge­merkt: Can­na­bis hilft sym­pto­ma­tisch, nicht ursäch­lich. Diese Liste reicht von ADHS bis hin zu Zyto­sta­tika-Neben­wir­kun­gen. Natur­ge­mäß ver­fü­gen Län­der, in denen Can­na­bis schon län­ger zum the­ra­peu­ti­schen Ein­satz kommt, auch hier über eine grö­ßere Erfah­rung. Nach Ein­schät­zung der bei­den Fach­leute mit kana­di­schem Hin­ter­grund kom­men ca. 200 (!) Krank­hei­ten in Frage, bei denen Can­na­bis ver­ord­net wer­den könnte – und wohl auch ver­ord­net wird. Wäh­rend also auf der einen Seite mit gro­ßem Enga­ge­ment ver­sucht wird, die Lega­li­sie­rung von Can­na­bis zu Genuss­zwe­cken zu ver­hin­dern, ent­wi­ckelt sich auf der ande­ren Seite ein immer grö­ße­res Feld für medi­zi­ni­sche Anwen­dun­gen. Das pro­vo­ziert die rhe­to­ri­sche Frage: „Wenn es so viele Erkran­kun­gen gibt, bei denen Can­na­bis ein­ge­setzt wer­den darf, ist dann nicht die Ver­wen­dung von Can­na­bis schon sozu­sa­gen durch die Hin­ter­tür legal?“

Bei dem Thema blieb es also nicht aus, dass zum Schluss der Dis­kus­sion über die wirt­schaft­li­chen Aspekte von Medi­zi­nal­can­na­bis hin­aus auch die Frage der Lega­li­sie­rung von Can­na­bis zu Genuss­zwe­cken ange­spro­chen wurde. Der ille­gale Can­na­bis-Kon­sum in Deutsch­land liegt geschätzt bei jähr­lich 200 bis 400 Ton­nen, was bei einem Schwarz­markt­preis von „nur“ 13 €/g ca. 3,9 Mrd. € Umsatz bedeu­tet. Beide Exper­ten beton­ten, dass sich ihr Unter­neh­men aktu­ell in Deutsch­land auf das Geschäft mit Can­na­bis zu medi­zi­ni­schen Zwe­cken kon­zen­triert. Trotz­dem haben sie den Anwe­sen­den ihre Kennt­nisse auch in die­sem Wirt­schafts­zweig mit­ge­ge­ben. So ist Can­na­bis zum „adult use“ mitt­ler­weile nicht nur in Uru­guay oder ver­schie­de­nen US-Staa­ten legal, son­dern auch in Canada und damit im Mut­ter­land der bei­den Unter­neh­men. Von der Dis­tri­bu­tion des Stof­fes bis hin zur Ein­rich­tung und dem Betrieb von ent­spre­chen­den Geschäfts­lo­ka­len ver­fü­gen sie über ein­schlä­gige Erfah­run­gen auf die­sem lukra­ti­ven Sektor.

Beide waren sich ohne zu Zögern einig, dass es nicht eine Frage des „Ob?“ son­dern ledig­lich des „Wann?“ sei, bis Can­na­bis auch in Deutsch­land voll­stän­dig lega­li­siert ist. Zu posi­tiv seien die Erfah­run­gen in all‘ den Län­dern, die Can­na­bis bereits voll­stän­dig lega­li­siert hät­ten. Und zu groß der Markt, als dass eine deut­sche Regie­rung gleich wel­cher Cou­leur ernst­haft noch lange zögern könne. Allein die zusätz­li­chen Steu­er­ein­nah­men von mehr als 1 Mrd. € und die nicht mehr erfor­der­li­chen weil letzt­lich ver­lo­re­nen Kos­ten von ein­ge­stell­ten Straf­ver­fah­ren in ähn­li­cher Mil­li­ar­den­höhe sprä­chen für sich. Einig waren sich beide aber auch darin, dass in die­sem Fall der Prä­ven­tion und dem Jugend­schutz hohe Bedeu­tung zukommt. Nicht zuletzt durch die 2018 von der WHO emp­foh­lene Neu­ein­stu­fung, Can­na­bis nicht mehr in der Liste der gefähr­lichs­ten Dro­gen (wie z.B. Heroin) zu füh­ren, son­dern den min­der gefähr­li­chen Suchtstoffe zuzu­rech­nen, kommt erneut Bewe­gung in die Sachlage.

Text: Prof. Dr. med. Andreas Meyer-Falcke