Stell­ten das Thea­ter­pro­jekt vor: (v.l.) Dr. Sascha Förs­ter (Thea­ter­mu­seum), Regis­seur Mar­vin Wit­ti­ber, Astrid Hirsch-von Bor­ries (Mahn- und Gedenk­stätte) sowie Susanne Kauf­mann und Marina Frie­melt (Amt füt Gleich­stel­lung und Antidiskriminierung),©Landeshauptstadt Düsseldorf/Ingo Lammert

 

Thea­ter­pro­jekt des Regis­seurs Mar­vin Wit­ti­ber mit dem Thea­ter­mu­seum, der Mahn- und Gedenk­stätte und dem Amt für Gleich­stel­lung und Antidiskriminierung

Wäh­rend der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus war Düs­sel­dorf ein Zen­trum der Ver­fol­gung von homo­se­xu­el­len Men­schen. Bis August 1938 ver­haf­tete allein die Gestapo etwa 400 Män­ner in Düs­sel­dorf – mehr als in jeder ande­ren west­deut­schen Stadt. Trotz­dem ist über das Leben, Lie­ben und Lei­den quee­rer Men­schen wäh­rend der NS-Dik­ta­tur nach wie vor wenig bekannt. Ein neues Thea­ter­pro­jekt will dem Thema nun mehr Sicht­bar­keit ver­lei­hen: Gemein­sam mit dem Regis­seur Mar­vin Wit­ti­ber laden das Thea­ter­mu­seum, die Mahn- und Gedenk­stätte sowie das Amt für Gleich­stel­lung und Anti­dis­kri­mi­nie­rung Düs­sel­dorf Jugend­li­che und junge Erwach­sene ab 16 Jah­ren zum Pro­jekt “Allein im Rosa Win­kel” ein. Inter­es­sierte kön­nen sich noch bis zum Diens­tag, 15. Okto­ber 2024, via E‑Mail an mail@marvinwittiber.de für das Pro­jekt anmelden.

“Mich hat es fas­sungs­los gemacht, wie wenig über das Leben von quee­ren Men­schen in der NS-Zeit bekannt ist. Ich selbst, als que­ere Per­son, wusste viel zu wenig. Mit dem Pro­jekt wol­len mein Team und ich dem Thema mehr Auf­merk­sam­keit ver­lei­hen. Wir wol­len mit ‘Allein im Rosa Win­kel’ die immer noch bestehen­den Leer­stel­len in der his­to­ri­schen Auf­ar­bei­tung auf­zei­gen, zugleich aber auch das Wis­sen, das da ist, ver­brei­ten”, erklärt Regis­seur Mar­vin Wit­ti­ber. Der Titel des Pro­jek­tes setzt sich aus dem Begriff “Rosa Win­kel” zusam­men, dem Kenn­zei­chen, das homo­se­xu­elle Män­ner in den KZ tra­gen muss­ten und das heute als Gedenk­sym­bol und für den Kampf gegen Homof­eind­lich­keit steht, sowie dem Wort “Allein”, wel­ches auf die Iso­lie­rung der Betrof­fe­nen durch Über­wa­chung, Raz­zien und Ver­haf­tun­gen anspielt.

Im Rah­men des Thea­ter­pro­jek­tes bege­ben sich die Teil­neh­men­den meh­re­rer Work­shop-Tage lang auf eine thea­trale Spu­ren­su­che ins natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Düs­sel­dorf und wid­men sich den Geschich­ten und Lebens­rea­li­tä­ten der ver­folg­ten Menschen.

Was ist von der Geschichte heute noch zu spü­ren? Wer waren diese Men­schen? Wie kann ihnen heute Gehör und ver­diente Sicht­bar­keit ver­schafft wer­den? Wie kön­nen die eigene Stimme und Kör­per ein­ge­setzt wer­den, um von ihnen zu erzäh­len? Die Work­shop­tage wer­den aus theo­re­ti­schen und prak­ti­schen Ein­hei­ten bestehen. So erhal­ten die Teil­neh­men­den zum Bei­spiel einen Ein­blick in den his­to­ri­schen Kon­text. Die Gruppe wird sich gemein­sam mit der Mahn- und Gedenk­stätte sowie dem Stadt­ar­chiv kon­krete Bio­gra­fien und Akten anschauen. In einem prak­ti­schen Teil geht es dann um die klas­si­sche Thea­ter­ar­beit (grund­le­gende Tech­ni­ken der Schau­spiel­kunst, Kör­per- und Stimm­ar­beit, Impro­vi­sa­tion und das Ent­wi­ckeln von Cha­rak­te­ren). In dem Rah­men wird es einen gemein­sa­men Schreib­work­shop mit der Autorin Simone Saf­tig und einen musi­ka­li­schen Work­shop mit dem Musi­ker And­rei Vin­nik geben. Die Ergeb­nisse des Thea­ter­pro­jekts wer­den am Ende bei einer Abschluss­prä­sen­ta­tion im Thea­ter­mu­seum vorgestellt.

“Im Thea­ter­mu­seum kön­nen wir über Samm­lungs­ob­jekte an ver­gan­gene Schick­sale erin­nern. Dank Thea­ter wer­den Lebens­ge­schich­ten und ihre furcht­bare Erfah­run­gen von Dis­kri­mi­nie­rung und Hass jedoch noch greif­ba­rer. Die Geschich­ten quee­rer Düs­sel­dor­fer, die auf­grund §175 wäh­rend des Drit­ten Reichs ermor­det wur­den, als Thea­ter in unsere Gegen­wart zu holen, ist nicht nur fol­ge­rich­tig, son­dern zum kol­lek­ti­ven Erin­nern an die Schre­cken von Queer-Feind­lich­keit abso­lut bedeut­sam. Daher freue ich mich, gemein­sam mit mei­nen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus der Mahn- und Gedenk­stätte und dem Amt für Gleich­stel­lung und Anti­dis­kri­mi­nie­rung die­ses Pro­jekt unter­stüt­zen zu kön­nen”, sagt Thea­ter­mu­se­ums­lei­ter Dr. Sascha Förster.

Work­shop-Ter­mine
Der inten­siv-Thea­ter­work­shop für Jugend­li­che und junge Erwach­sene ab 16 Jah­ren wird vom 31. Okto­ber bis zum 3. Novem­ber 2024 ver­an­stal­tet – jeweils am 31. Okto­ber von 18 bis 22 Uhr und vom 1. bis 3. Novem­ber von 10 bis 16 Uhr. Die Work­shop­ein­hei­ten fin­den pri­mär in den Pro­be­räu­men am Ber­tha-von-Sutt­ner-Platz 1–3 statt. Zur Abschluss­prä­sen­ta­tion am Sonn­tag, 3. Novem­ber, 18 Uhr, wer­den dann alle Inter­es­sier­ten ins Thea­ter­mu­seum Düs­sel­dorf, Jäger­hof­straße 1, ein­ge­la­den. Die Teil­neh­men­den benö­ti­gen keine Thea­ter-Erfah­run­gen oder the­ma­ti­sche Vorkenntnisse.

Der his­to­ri­scher Hintergrund
Bereits im Kai­ser­reich waren homo­se­xu­elle Hand­lun­gen durch den Para­graf 175 ver­bo­ten. Mit der Macht­über­nahme der Natio­nal­so­zia­lis­ten 1933 wur­den Maß­nah­men gegen Homo­se­xu­elle, gegen ihre Knei­pen- und Sub­kul­tur, gegen ihre Ver­eine und Zeit­schrif­ten jedoch deut­lich ver­schärft. In Düs­sel­dorf erfolgte die Schlie­ßung der bekann­ten Homo­se­xu­el­len-Lokale sogar schon einige Tage vor die­ser Anweisung.

Im Sep­tem­ber 1935 trat eine wei­tere Ver­schär­fung des Para­gra­fen in Kraft, wonach all­ge­mein “homo­se­xu­elle Hand­lun­gen” kri­mi­na­li­siert wur­den. Bei der Ver­fol­gung Homo­se­xu­el­ler soll­ten gleich­zei­tig Kri­mi­nal­po­li­zei, Geheime Staats­po­li­zei (Gestapo) und Straf­jus­tiz tätig wer­den. Allein die Gestapo ver­haf­tete in die­sem Zusam­men­hang in Düs­sel­dorf etwa 400 Män­ner. Damit war Düs­sel­dorf die Stadt mit den meis­ten Fest­nah­men nach § 175 in ganz West­deutsch­land. Im Som­mer 1937 führte die Gestapo die ers­ten gro­ßen Raz­zien durch. Ende März 1938 begann eine wei­tere “Aktion gegen die übri­gen Homo­se­xu­el­len”, die von einem Son­der­kom­mando der Gestapo in Angriff genom­men wurde.

Die Gerichte in Düs­sel­dorf ver­häng­ten durch­schnitt­lich fünf bis sechs Monate Gefäng­nis für Ver­stöße gegen den § 175. Unab­hän­gig von einem Gerichts­ur­teil ver­fügte die Gestapo über die Mög­lich­keit, Men­schen in Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger ein­zu­lie­fern. In Düs­sel­dorf wur­den sol­che KZ-Ein­wei­sun­gen in der Regel gewis­ser­ma­ßen als “Kor­rek­tur” gericht­li­cher Urteile vor­ge­nom­men, also etwa nach Ent­las­sung aus der Unter­su­chungs­haft, nach einem Frei­spruch im Gerichts­ver­fah­ren oder unmit­tel­bar nach der Straf­ver­bü­ßung. Zudem konn­ten schwule Män­ner auch“entmannt” wer­den. Diese Zwangs­kas­tra­tio­nen wur­den in der Regel in der Kran­ken­ab­tei­lung des Gefäng­nis­ses “Ulmer Höh” durchgeführt.

Die recht­li­che Dis­kri­mi­nie­rung wurde nach 1945 bis zur Abmil­de­rung des Para­gra­fen (1969) bzw. bis zu des­sen end­gül­ti­ger Abschaf­fung (1994) bei­be­hal­ten. In der jun­gen Bun­des­re­pu­blik wur­den tau­sende Män­ner nach §175 zu Gefäng­nis­stra­fen ver­ur­teilt. Ent­schä­di­gungs­zah­lun­gen an homo­se­xu­elle NS-Ver­folgte wur­den bis heute kaum geleis­tet. Erst 2017 ermög­lichte der Deut­sche Bun­des­tag die recht­li­che Reha­bi­li­tie­rung ver­folg­ter Homosexueller.

Koope­ra­ti­ons­part­ner und Föde­rung des Theaterprojekts
Das Thea­ter­pro­jekt “Allein im Rosa Win­kel” wird in Koope­ra­tion mit der Mahn- und Gedenk­stätte Düs­sel­dorf, Que­ere Geschichte(n) Düs­sel­dorf e.V., dem Thea­ter­mu­seum Düs­sel­dorf sowie dem Amt für Gleich­stel­lung und Anti­dis­kri­mi­nie­rung Düs­sel­dorf und in Zusam­men­ar­beit mit dem Stadt­ar­chiv Düs­sel­dorf und der Les­ben- und Schwu­len­bi­blio­thek Düs­sel­dorf (LuSBD) rea­li­siert. Geför­dert wird das Pro­jekt vom Fonds Sozio­kul­tur aus Mit­teln der Beauf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Medien sowie dem “Jugend­fonds Demo­kra­tie leben!”.