Ein Spa­zier­gang durch Düs­sel­dorf- Kai­sers­werth Im Januar 2023 Gabriele Schre­cken­berg war dabei

Mit­ten im Gar­ten­haus steht eine mar­morne Büste, gefer­tigt von einem der „Wer ein Kind auf­nimmt in mei­nem Namen, der nimmt mich auf.“. So steht es in schwar­zen Let­tern auf wei­ßem Grund im roman­ti­schen Gar­ten­haus der Fami­lie Flied­ner, das ver­steckt neben der Evan­ge­li­schen Stadt­kir­che auf der Flied­ner­straße im his­to­ri­schen Kai­sers­werth im Nor­den von Düs­sel­dorf liegt. Enkel von Theo­dor Flied­ner. Der Gedanke, zu hel­fen, war tief ver­wur­zelt in dem jun­gen evan­ge­li­schen Pfar­rer, der 1822 zum ers­ten Mal nach Kai­sers­werth kam und blieb. Hier starb er 1864. Die Spu­ren sei­nes Lebens und Wir­kens zie­hen sich durch den gan­zen Ort. Eine Straße ist nach ihm benannt, ein evan­ge­li­sches Gym­na­sium an der Kal­ku­mer Schloss­al­lee, die Kai­sers­wert­her Dia­ko­nie als Ursprung sei­ner Ideen und Arbeit.

Drei starke Frauen beglei­te­ten Theo­dor Fliedner

Theo­dor Flied­ner, der Begrün­der der Dia­ko­niss­sen­an­stalt in Kai­sers­werth, war ein erstaun­li­cher Mann. Mit drei Frauen brachte er im 19. Jahr­hun­dert das Pro­jekt, qua­li­fi­zierte Pflege in die ganze Welt zu brin­gen, auf den Weg. Unver­zicht­bare Gefähr­tin­nen waren vor allem seine erste Ehe­frau Frie­de­rike Flied­ner, seine zweite Frau Caro­line Flied­ner und Flo­rence Night­in­gale, die wohl berühm­teste Kran­ken­schwes­ter der Welt. Sie alle berei­te­ten den Weg für die Dia­ko­nis­sen, die noch heute im Orts­bild von Kai­sers­werth zu fin­den sind.

Span­nend ist die Spu­ren­su­che nach dem Werk und Leben Theo­dor Flied­ners, die an die­sem eisi­gen Janu­ar­nach­mit­tag vor ein­ein­halb Jah­ren bei strah­lend blauem Him­mel beginnt. Schon an der Kle­mens­brü­cke, die kurz vor dem Stamm­haus am Kai­sers­wert­her Markt ver­läuft, ler­nen wir, dass hier frü­her ein klei­ner Neben­arm des Rheins durch­ge­flos­sen ist. Des­halb hieß Kai­sers­werth auch „die Insel des Kai­sers“, denn der mäch­tige Rhein fließt ein paar Meter weiter.

Im Kai­sers­wert­her Stamm­haus leb­ten die Dia­ko­nis­sen, die sich dem dia­ko­ni­schen Gedan­ken ver­pflich­tet hat­ten, Alten, Kran­ken, Behin­der­ten und allen Pfle­ge­be­dürf­ti­gen ihr Leben lang zu hel­fen. Sie ver­pflich­te­ten sich fer­ner, unver­hei­ra­tet und evan­ge­lisch und kin­der­los zu bleiben.

Dafür beka­men sie im Gegen­zug von Theo­dor Flied­ner die lebens­lange Ver­sor­gung zuge­sagt.  Woh­nen, Essen, Klei­dung war für sie umsonst. Dazu gab es ein jähr­li­ches Taschen­geld von heute umge­rech­net 45 Euro. Was durch­aus reichte, denn nach 14 Stun­den Arbeit am Tag, ohne Beleuch­tung auf den Stra­ßen war ihr Wille, aus­zu­ge­hen, recht übersichtlich.

Noch immer gibt es auf dem Gelände der Kai­sers­wert­her Dia­ko­nie die so genann­ten Fei­er­abend­häu­ser, in denen die Dia­ko­nis­sen nach ihrem Ruhe­stand in Appar­te­ments ihre letz­ten Jahre ver­brin­gen. Auf dem Dia­ko­nis­sen­fried­hof am Kle­mens­platz fin­den sie ihre letzte Ruhe­stätte. Alle Grä­ber, so ler­nen wir auch, sind gleich hoch und breit, damit sich nie­mand über die ande­ren erhebe. Das hat sym­bo­li­schen Cha­rak­ter. Und passt zum Welt­bild der Diakonissen.

Unver­hei­ra­tete Frauen hat­ten es im 19. Jahr­hun­dert in der Gesell­schaft schwer. Weil vor allem die Armut drohte und das Gefühl, dass die ande­ren Men­schen ihr Aus­kom­men sichern muss­ten. Dem leis­tete Theo­dor Flied­ner Vor­schub. Jede Dia­ko­nisse bekam eine gute pfle­ge­ri­sche Aus­bil­dung, einen Arbeits­ver­trag und eine Tracht, die Flied­ner eigens ent­wor­fen hatte, damit auch sie sich sicher auf den Stra­ßen bewe­gen konnten

Ein gepack­ter Kof­fer unter dem Bett

Die Kai­sers­wert­her Dia­ko­nis­sen gehö­ren mit ihren Trach­ten, den Schüt­zen und vor allem den wei­ßen Häub­chen zum Orts­bild.  Und nicht nur hier, denn seit 1830 schickte Theo­dor Flied­ner sie in die ganze Welt, um dort Pflege zu leis­ten. Und wer sich ein­mal als Dia­ko­nisse ver­pflich­tet hat, konnte den Auf­trag nicht ableh­nen. Außer, sie hat­ten in der eige­nen Fami­lie einen schwe­ren Pfle­ge­fall. Ein gepack­ter Kof­fer, so ler­nen wir, stand unter jedem Bett der Diakonissen.

Theo­dor Flied­ner kam 1922 als evan­ge­li­scher Pfar­rer nach Kai­sers­werth. Bezahlt wurde er von der Gemeinde, grün­dete die Dia­ko­nis­sen­an­stalt, hei­ra­tete Frie­de­rike Flied­ner, die genauso alt war wie er.

In einem Brief vor ihrer Ver­mäh­lung schrieb er ihr, dass sie, wenn sie ver­hei­ra­tet sind, mit ihm alle Pro­jekte nach vorne bringt, die ihm wich­tig sind und er bei Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten immer der Chef sei. Klare Ansage, die sie mit­ge­tra­gen hat.

Gemein­sam hat­ten sie elf Kin­der, von denen nur drei das Erwach­se­nen­al­ter erreich­ten. Frie­de­rike Flied­ner starb mit 42 und hat einen Ehren­platz auf dem Dia­ko­nis­sen­fried­hof in Kai­sers­werth.  Sie­ben ihrer Kin­der sind mit ihr hier beer­digt. Sie hat ihren Ehe­mann, der mehr als die Hälfte des Jah­res auf Spen­den­rei­sen war, um Spon­so­ren und vor allem Geld für sein Pro­jekt zu sam­meln, mehr als unter­stützt, denn sie war auch erste Ansprech­part­ne­rin für alle Dia­ko­nis­sen in Kai­sers­werth. Und davon gab es viele. 1920 leb­ten 2.000 Dia­ko­nis­sen im Mut­ter­haus, dem heu­ti­gen Alten­stamm­haus der Diakonie.

Nach­dem Frie­de­rike Flied­ner 1842 gestor­ben war, hei­ra­tete Theo­dor Flie­der schon 1843 erneut, dies­mal Caro­line, mit der er bis zu sei­nem Tod 1864 ver­hei­ra­tet war und wei­tere acht Kin­der hatte.

Und nicht nur die Dia­ko­nie ver­dankt ihm ihre Ent­ste­hung. Auch um aus dem Gefäng­nis ent­las­sene Frauen hat­ten er und seine erste Ehe­frau sich geküm­mert. Die His­to­rie besagt, dass einige im Dach­ge­schoss sei­nes Pfarr­hau­ses auf der Flied­ner­straße gleich neben der Stadt­kir­che wohn­ten. Sie wur­den in eng­ma­schi­ger Betreu­ung wie­der in das nor­male Leben inte­griert. Bei der Hälfte gelang es, sie konn­ten, nach­dem sie an die Struk­tur gefes­tig­ter Tage mit Haus­ar­beit, Kochen, Wäsche ver­rich­ten und vie­lem mehr gewöhnt wor­den waren, als Mägde an umlie­gende Bau­ern­höfe ver­teilt werden.

Was für Schick­sale das waren, ahne ich am Ende des kurz­wei­li­gen Nach­mit­tags. Frie­de­rike Flied­ner etwa hatte ein ganz nor­ma­les Frau­en­le­ben im 19. Jahr­hun­dert, das geprägt war von vie­len Schwan­ger­schaf­ten, har­ter Arbeit, Leid und einem frü­hen Lebensende.

Flo­rence Nig­thin­gale, die Theo­dor Flie­der bei einer Spen­den­reise ken­nen­ge­lernt hatte, kam auch nach Kai­sers­werth, wurde hier 1850 zwei Wochen lang wei­ter als Kran­ken­schwes­ter aus­ge­bil­det und wohnte im heu­ti­gen Flied­ner­hof auf der Flied­ner­straße. Ein Jahr spä­ter kam sie zurück nach Kai­sers­werth und setzte ihre Aus­bil­dung als Kran­ken­schwes­ter drei Monate lang fort. 1854 ging sie in einen Vor­ort von Istan­bul, wo sie die furcht­bare Hygiene beklagte. Es star­ben mehr Men­schen welt­weit an schlech­ter Hygiene als an den Fol­gen der Krank­hei­ten. Sie führte Sta­tis­ti­ken und ent­wi­ckelte ein Tor­ten-Ana­gramm, um zu doku­men­tie­ren, wie die Hygiene nach und nach ver­bes­sert wer­den kann. Was gelang und schließ­lich den eng­li­schen Hof von ihren Fähig­kei­ten über­zeugte. Sie refor­mierte das Gesund­heits­we­sen in Groß­bri­tan­nien und den indi­schen Kolo­nien und wurde 90 Jahre alt.

Der Spa­zier­gang endet nach drei Stun­den auf dem Dia­ko­nie­ge­lände vor dem Hotel Mut­ter­Haus. Kai­sers­werth atmet Geschichte und Rhein­luft, eine gute Kombination.

Die nächste Füh­rung durch das Gelände der Kai­sers­wert­her Dia­ko­nie fin­det am Sams­tag, 27. Juli, statt. Treff­punkt vor Café Schus­ter um 14 Uhr. Kos­ten: 10 Euro. Anmel­den unter info@fliedner-kulturstiftung.de

Text & Fotos: Gabriele Schreckenberg